Warum wir unsere Pferde lieben – Ein offenes Wort zu den Vorwürfen des Tierschutzbundes
Michael Figge mit dem Wallach JACKSUN
Am 20. März 2025 veröffentlichte der Deutsche Tierschutzbund eine Pressemitteilung, in der er das Ende des Galopprennsports forderte. Besonders kritisiert wurde der Einsatz der Peitsche im Rennen – verbunden mit der pauschalen Behauptung, der Sport sei grundsätzlich nicht mit dem Tierschutzgedanken vereinbar.
Ich kann diese pauschale Ablehnung nicht unkommentiert stehen lassen. Denn wer – wie wir im Rennstall Figge – täglich mit Rennpferden lebt, trainiert, sich sorgt und mitfühlt, weiß: Unsere Pferde sind keine Mittel zum Zweck. Sie sind Partner, Persönlichkeiten, Lebewesen mit Charakter und Ausdruck. Und sie stehen bei allem, was wir tun, im Mittelpunkt.
Der Einsatz der Peitsche: Streng geregelt und selten beanstandet
Im Jahr 2024 gab es im deutschen Galopprennsport 7.323 Starts. In nur 73 Fällen kam es zu Verstößen gegen die Peitschenregelungen. Das entspricht rund 1 % aller Starts – 60 Fälle fehlerhafter Anwendung, 13 wegen Überschreitung der maximal erlaubten drei Schläge. Somit wurden also in 0,178 % aller Starts 2024 übertrieben die Peitsche auf einem Rennpferd in Deutschland eingesetzt. Alle Verstöße wurden umgehend vom Dachverband Deutscher Galopp geahndet (hohe Geldstrafen und Reitverbote für die Jockeys).
Die Regeln sind streng: Die Peitsche darf nur auf die Hinterhand eingesetzt werden, muss vorher sichtbar gezeigt werden und im Rhythmus der Galoppade erfolgen. Sie ist gepolstert und so konzipiert, dass sie in erster Linie ein akustisches Signal gibt. Ihr Einsatz dient der Kommunikation – nicht der Bestrafung.
Meine persönliche Haltung dazu
Ich bin überzeugt: Wenn wir als Sport überleben wollen, müssen wir uns weiterentwickeln. Deshalb habe ich mich in einer internen E-Mail an den Jockey- und Trainerverband sowie die Tierwohlkommission dafür ausgesprochen, den Peitscheneinsatz im Finish grundsätzlich nur noch auf die Schulter zuzulassen. Nicht aus Druck von außen, sondern weil ich spüre, dass sich die Wahrnehmung unserer Gesellschaft verändert hat.
Auch drei erlaubte Schläge auf die Hinterhand können laut, brachial und für Außenstehende dramatisch wirken – vor allem, wenn Familien bzw. Erstbesucher an der Bahn stehen. Ich wünsche mir einen Stil, der klar macht: Wir kontrollieren – aber wir zwingen nicht. Eine elegante, pferdeschonende Reitweise ist für mich nicht nur ein ethischer Anspruch, sondern auch eine Chance, Vertrauen zurückzugewinnen.
Frühes Training: Verantwortungsvoll und wissenschaftlich belegt
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den frühen Trainingsbeginn. Einige Pferde kommen als Jährlinge in den Stall – aber niemand wird überfordert. Der Aufbau ist strukturiert und tierärztlich begleitet. In meinem Artikel Training von 2-jährigen Vollblütern erkläre ich die Hintergründe.
Zudem zeigt eine Studie aus Neuseeland: Früh trainierte Pferde haben tendenziell längere Karrieren und weniger Verletzungen. Der Bewegungsapparat passt sich Belastung besser an – wie es das Wolffsche Gesetz bestätigt.
Gesundheit, Haltung und tierärztliche Betreuung
Unsere Pferde leben in luftigen, gepflegten Stallungen mit täglichem Weidegang oder Paddock-Zugang. Sie bekommen individuell abgestimmtes Training und hochwertige Fütterung. Tierärztliche Betreuung erfolgt regelmäßig, nicht täglich – dafür aber strukturiert.
Vor dem ersten Trainingsbeginn sowie vor dem ersten Lebensstart im Stall sind verpflichtende tierärztliche Untersuchungen vorgeschrieben. Nur gesunde Pferde werden in das Training aufgenommen – und nur gesunde Pferde dürfen starten. Das ist keine Floskel, sondern Alltag.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Dr. Monica Venner, die unabhängige Beauftragte für Tierschutzfragen im deutschen Galopprennsport (PD, Ph.D, Fachtierärztin für Pferde, Diplomate of ECEIM, FEI-Tierärztin), hat jeden Rennstall und jeden Trainingsstandort persönlich besucht, um auf etwaige Missstände aufmerksam zu machen. Ihre Empfehlungen sind verbindlich – und deren Umsetzung wird vom Dachverband Deutscher Galopp konsequent eingefordert und kontrolliert.
Das zeigt: Der Tierschutz ist im deutschen Galopprennsport nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern ein strukturell verankerter Bestandteil unserer Arbeit.
Zudem gelten im deutschen Rennsport:
Strenge Anti-Doping-Regeln mit unangekündigten Kontrollen
Dokumentationspflichten für alle Behandlungen
Medizinische Nachkontrollen nach Rennen
Verbot problematischer Hilfsmittel wie Zungenbänder
Konsequente Sanktionen bei Verstößen
Nach der Karriere: Unsere Pferde bekommen ein zweites Leben
Viele unserer ehemaligen Rennpferde wechseln nach der Karriere in den Reit-, Therapie- oder Freizeitbereich.
Die Plattform von Deutscher Galopp bietet zahlreiche Beispiele: Karriere nach dem Sport – Rennpferde in Rente
Wir begleiten diesen Übergang aktiv – weil wir Verantwortung nicht nur bis zur Ziellinie tragen, sondern darüber hinaus.
Wirtschaftliche Bedeutung und gesellschaftliche Verantwortung
Bei aller Debatte über Tierschutz darf man eines nicht vergessen: Der Galopprennsport ist nicht nur ein Kulturgut – er ist auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. In Deutschland hängen Tausende Arbeitsplätze direkt oder indirekt am Rennsport:
Pferdepflegerinnen und -pfleger
Tierärzte und Hufschmiede
Reiter, Trainer, Jockeys
Landwirte, Futtermittelhersteller
Stall- und Bahnbauer
Züchter, Transporteure, Veranstalter
Der Galopprennsport hält ganze Regionen am Laufen – gerade im ländlichen Raum. Er bietet jungen Menschen Perspektiven in Handwerk und Tierberufen, er verbindet Familienbetriebe mit internationaler Zuchtelite. Das ist echte, gelebte Wirtschaft auf vier Hufen.
Und auch die Vollblutzucht hat ihre gesellschaftliche Berechtigung. In unserem Beitrag Warum der deutsche Galopprennsport eine gesellschaftliche Verantwortung trägt erklären wir, warum die Zucht von Vollblütern mehr ist als Sport: Sie erhält genetische Vielfalt, sichert Wissen über Bewegung, Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Pferdes – und liefert Erkenntnisse, von denen auch andere Pferdesparten profitieren.
Ein persönlicher Gedanke zum Schluss
Die aktuelle Diskussion zeigt: Der Galopprennsport bewegt – emotional, gesellschaftlich und politisch. Umso wichtiger ist es, dass wir nicht in Konfrontation verharren, sondern in den Dialog gehen. Nicht alle, die den Sport kritisieren, kennen ihn aus eigener Anschauung. Und nicht alle im Sport wissen, was berechtigte Sorgen in der Gesellschaft auslöst.
Ich bin überzeugt: Nur wer offen kommuniziert, wer zeigt, wie Pferde tatsächlich gehalten und trainiert werden, kann Vertrauen aufbauen. Kritik ernst zu nehmen heißt nicht, ihr pauschal zuzustimmen – sondern sie als Chance zu begreifen, sich weiterzuentwickeln. Dafür stehen wir.
Fazit
Wir im Rennstall Figge stehen für einen Galopprennsport mit Herz, Verstand und Verantwortung. Unsere Pferde sind keine Nummern. Sie sind Partner. Und wer uns besucht, sieht das. Sie dürfen gerne vorbeikommen – am Tag der offenen Tür – dem bundesweiten Tag der Rennställe oder jederzeit auf der Bahn.
Herzlichst
Michael Figge
Trainer & Pferdemensch